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Stabiler Zustand einer Krebserkrankung bei Eheschließung spricht gegen eine Versorgungsehe

Datum: 10.10.2019

Kurzbeschreibung: 


Das Landessozialgericht (LSG) verdeutlicht, dass nicht jede bekannte Krebserkrankung offenkundig einen lebensbedrohlichen Zustand belegt.

 

Urteil vom 9. Oktober 2019, Aktenzeichen L 2 R 3931/18

Die Klägerin und der Versicherte wurden beide 1940 geboren, lernten sich 1997 kennen, zogen vier Jahre später zusammen und heirateten Anfang April 2015. Beim Standesamt wurden im Juni 2014 ausgestellte Geburtsurkunden eingereicht. Sechs Jahre zuvor war bei ihm ein Prostatakarzinom diagnostiziert und zunächst erfolgreich behandelt worden. Im Januar 2016 verstarb der Versicherte. Auf der Todesbescheinigung wurden als Todesursachen eine dekompensierte Herzinsuffizienz, eine respiratorische Insuffizienz, eine Pneumonie, eine Immobilität, eine Parkinsonkrankheit und ein Prostatakarzinom vermerkt.

Der behandelnde Hausarzt, der den Versicherten noch am Tag vor seinem Tod untersucht hatte, berichtete unter anderem über ein metastasierendes Prostatakarzinom mit Lungenmetastasen. Der die beklagte Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung beratende Arzt ging von einer schweren lebensbedrohlichen Erkrankung im Zeitpunkt der Heirat aus, weshalb die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer großen Witwenrente als Hinterbliebenenleistung ablehnte. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe bei der Ehedauer unter einem Jahr sei nicht widerlegt. Das Klageverfahren, in dem die Klägerin vortrug, die Eheschließung sei schon früher beabsichtigt gewesen, aber aus privaten Gründen und wegen der aufgetretenen psychischen Erkrankung des Versicherten im Sommer 2014 verschoben worden, verlief für die Klägerin erfolglos.

Das LSG gab ihr demgegenüber im Berufungsverfahren Recht. Es liegen besondere Umstände vor, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Eine gewichtige Bedeutung kommt zwar stets dem Gesundheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Heirat zu. Den Arztberichten lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass er damals an einer lebensbedrohlichen Erkrankung litt. In Betracht kommt einzig die Krebserkrankung. Die 2013 aufgetretenen Lungenmetastasen wurden mit einer Hormonablation erfolgreich behandelt. Der Wert für das prostataspezifische Antigen (PSA-Wert) als Verlaufspara-meter war bis zur Nachweisgrenze gesunken. Insgesamt bestanden zum Zeitpunkt der Eheschließung stabile Verhältnisse ohne Anhalt für ein Fortschreiten. Selbst nachdem die Hormontherapie wegen der psychischen Erkrankung des Versicherten beendet wurde, stieg der PSA-Wert nur geringfügig an. Eine Behandlungsbedürftigkeit ergab sich nicht. Die Verwirklichung des schon lange gehegten Heiratswunsches hielt das LSG als leitendes Motiv für die Heirat für glaubhaft und ausreichend.

Rechtsgrundlage

§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet haben.

Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindes-tens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinter-bliebenenversorgung zu begründen.

Alexander Angermaier
Richter am Landessozialgericht
- Pressesprecher -

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